Erweiterung des Gesichtskreises

Streetphotography, Lichtstrahlen der Erkenntnis.

Me Myself Eye. Der Streetphotographer Martin Vanselow.

„One Look Is Worth a Thousand Words“, findet sich als gedruckter Nachweis am 8. Dezember 1921 in der Fachzeitschrift Printers’ Ink. Auch im Deutschen Sprachraum steht das Sprichwort „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ für den vermeintlichen Mehrwert von Bildern gegenüber ausschließlichem Text. Es bezieht sich darauf, dass komplizierte Sachverhalte oft mit einem Bild oder einer Darstellung einfacher erklärt werden können und ein Bild meist einen stärkeren Eindruck auf den Betrachter ausübt als ein umfangreicher Text.

„Eine Sprache sprechen, heißt, eine Welt, eine Kultur auf sich nehmen“.

Frantz Fanon

Wie sich die Fotografie bei Walter Benjamin zu einem Medium entwickelt, das sich in die Wahrnehmungsräume einträgt, ist in seinem Essay Kleine Geschichte der Photographie nachzulesen. Dieser Begriffsforscher hat die Fotografie neu gedacht und Fotografien auf besondere Art und Weise rezipiert. Seine Position zeichnet aus, dass er Fragen nach Wahrnehmungsweisen und deren Veränderbarkeit ins Spiel bringt und den Mediendiskurs somit erweitert hat. Seither hat sich die Welt der Bilder radikal verändert. Durch Digitalisierung steigerte sich die Zahl der Fotos ins Unzählbare, die Bedeutung jedes einzelnen Bildes dagegen ist fast verschwunden.

Der Streetphotographer Martin Vanselow blickt nicht herab, er bleibt mit dem / den Abgebildeten auf Augenhöhe.

Vom Flaneur Walter Benjamin ist der Sprung nach Paris nicht weit, es ist wahrscheinlich, dass er die zu Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Aufnahmen von Eugène Atgets und den Pariser Vororten gekannt hat, sie können als Vorläufer der Straßenfotografie zugerechnet werden. Das Fotografieren einzelner, flüchtiger Augenblicke, die spiegeln den Charakter der Umgebung, der Kultur und der Stadt Neheim wider. Es erfordert etwas Mut, Menschen in ihrer alltäglichen Umgebung zu fotografieren. Es kann nicht schaden, Zeit und Geduld mitzubringen, um sich den geeigneten Augenblick hart erarbeiten. Über beides verfügt Martin Vanselow. Seine Straßenphotographie ist das Erzählen von Geschichten, die im öffentlichen Raum entstehen, auf Straßen, in Geschäften oder wenn er Passantengruppen oder Einzelne herausgreift, oftmals als Momentaufnahme, aber ebenso eine essayhafte Abfolge und Milieustudie. Die abgelichteten Menschen sind nicht als Privatpersonen gemeint, sondern als anonyme Figuren einer allgemeinen menschlichen Situation. Eine Straßenfotografie keine öffentlich bekannte Person, sondern eine Grundsituation des Alltags im öffentlichen Raum.

„Das Festhalten eines besonderen Moments ist die hohe Kunst der Straßenfotografie, aber einen ebenso hohen Stellenwert hat das Umsetzen der besonderen Atmosphäre eines jeden Ortes.“

Meike Fischer

Der Kurator würdigte den Fotographen Martin Vanselow, dessen Streetphotography er sehr schätzt, auf KUNO. Er freut sich über auf die Zusammenarbeit für diese Online-Publikation, weil Vanselow nicht nur faszinierende Bilder aus dem Alltag hervorholt, sondern weil diese Momentaufnahmen nebenher auch großartige Sozialstudien sind. Es sind Fotografien, die nicht im urbanen öffentlichen Raum entstehen, sondern auch auf Straßen, in Geschäfte oder Cafés hineinblickend, Passantengruppen oder Einzelne herausgreifend, oftmals als Momentaufnahme. Die Straßenfotografien im Werk von Vanselow rangieren kompositorisch-stilistisch von dokumentarisch strengen Aufnahmen bis zu körnigen, bewusst verschwommenen oder gekippten Ansichten, gewagten Perspektiven und verzerrenden Spiegelungen.

„Der Film ist das Leben, die Fotografie ein Memento mori.“

Susan Sontag.

Fotografie ist immer auch eine Beschäftigung mit der Bildproduktion, dies ist im Zeitalter des Internetz relevanter denn je. Was in der Streetphotography von Martin Vanselow beeindruckt, ist der Gestus der Unmittelbarkeit. Er thematisiert das Festhalten eines besonderen Moments, das ist die hohe Kunst dieser Fotografie, aber einen ebenso hohen Stellenwert hat das Umsetzen der besonderen Atmosphäre von Neheim an der Ruhr. Sein Können, seine Vertrautheit mit dem Thema, kommt in den Bildern dieser Online-Publikation zum Ausdruck und zeichnet das Genre der Streetphotography als künstlerische Gattung aus. Sehen Sie diese Online-Publikation als Katalog, in dem Sie hin- und herblättern können.

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Weiterführend → Walter Benjamins Kleine Geschichte der Photographie (1931) war einer der frühesten Versuche zum Verständnis der immer noch jungen Technik und weist zugleich voraus auf seine berühmte Abhandlung Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1935).

Zum Thema ´Photographie` lesen Sie auch den Nachruf über Peter Meilchens Lebenswerk und den Essay 50 Jahre Krumscheid / Meilchen über die Retrospektive im Kunstverein Linz sowie den Essay zum Buch / Katalog-Projekt 630.

Im Kino gewesen. Geweint. – Eine Betrachtung des Dokumentafilms über Vivian Maier.