Zur Stadt demoliert

„Wien wird jetzt zur Großstadt demoliert“, stellte der nie um ein Wort verlegene Karl Kraus fest.

Das Leben ist eine Baustelle lautet der Titel eines deutschen Spielfilms aus dem Jahr 1997. Er sollte sich für Neheim als prophetisch erweisen.

Das Wort ‚demolieren‘ ist fast aus dem Duden gefallen, es meint: ‚gewaltsam zerstören, niederreißen‘. Die Furien des Verschwindens waren auch in Neheim zugange. Seit den 1980-er Jahren wurde die Innenstadt zur ‚Einkaufsstadt‘ demoliert. Kein Stein blieb auf dem anderen. Abtragen ist ein Verfahren, die gemeinsam mit dem Zerspanen, Zerteilen, Zerlegen eingesetzt wird. Neheim ist nach der größten Zerstörungsorgie seit dem 2. Weltkrieg dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein. In einem grundstürzenden Verständnis von `Moderne´ wurden historische Restbestände wie etwa eine nach den Plänen von Karl Friedrich Schinkel erbaute Pfarrkirche mit inquisitorischem Eifer aus der Stadt getilgt, bis sie nurmehr auf alten Postkarten eine vergilbte Erinnerung ist.

Vorrangiges Ziel der Stadtplaner scheint es nicht, eine lebenswerte Kommune zu schaffen, sondern ein konsumfreundliches Umfeld.

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Weiterführend → Die Erstausgabe von Die demolirte Literatur erschien 1896 in der Künstlerzeitschrift „Wiener Rundschau“. Karl Kraus war der erste Autor, der vor über hundert Jahren die kulturkritische Kommen­tie­rung der Welt­lage zur Dauer­beschäf­tigung erhob. Seine Zeit­schrift „Die Fackel“, in der er von 1899 bis 1936 auf über zwanzig­tausend Seiten alle denkbaren Zeitgeist-Phäno­mene kommen­tierte, war gewisser­ma­ßen der erste Kultur-Blog.

In 2003 stellte KUNO den Essay als Versuchsanordnung vor.

In 2013 unternahm Constanze Schmidt Gedankenspaziergänge.

In 2023 machte sich Holger Benkel gedanken über das denken.