Beobachtende Filme

„Sehen und Hören sind die wichtigsten Elemente des Dokumentarfilmschaffens, aber sie werden oft vernachlässigt, weil viele Regisseure eine Agenda haben und diese Agenda priorisieren, sodass sie die Realität auf ihre Pläne hin zuschneiden“

Kazuhiro Soda

Die Katzen vom Gokogu-Schrein spielt im japanischen Ushimado, einer Hafenstadt in der Präfektur Okayama. Zu sehen sind die streunenden Katzen, die um den kleinen, alten Shintō-Schrein Gokugo leben, sowie die Menschen, die sie versorgen und lieben. Nur einige wenige Einwohner Ushimados fühlen sich durch die Anwesenheit der Katzen gestört. Die Katzen bestimmen den Film mit tapsigem Charme und geschmeidiger Zickigkeit. Nebenbei gewährt der Film auch einen Blick auf die alternde, traditionelle Gemeinschaft um den Schrein.

„Es ist nicht möglich, sich selbst von der Realität, die man zeigt, zu trennen. Dadurch, dass man anwesend ist, verändert man etwas. Ich will da ehrlich sein, und außerdem ist die Dynamik zwischen dem Filmemacher und der Realität, die er filmt, oft sehr interessant; deshalb zeige ich auch Interaktionen zwischen mir und den Menschen in meinen Filmen.“

Kazuhiro Soda

Der Filmemacher Kazuhiro Soda ist für seinen beobachtenden Dokumentarfilmstil bekannt. Die unberechenbaren Vierbeiner, die sich um einen Shinto-Schrein im beschaulichen Küstenort Ushimado angesiedelt haben, sind für ihn keine Bedrohung eines starren inhaltlichen Konzepts, sondern dienen als dankbare Herausforderung für einen Film mit ungewisser Richtung. In seinen Werken werden oft wichtige Themen der japanischen Gesellschaft mit einem distanzierten, minimalistischen Naturalismus dargestellt. Der Regisseur verfasste ein Buch, in dem er Richtlinien für Dokumentarfilme aufstellt, Why I Make Documentaries. Dort definierte er Regeln für Dokumentarfilme: ohne Recherche zu arbeiten, selbst die Kamera zu führen und für die Produktion aufzukommen, den Film nicht durch Erzählungen, Untertitel oder Musik zu verändern und sich vor dem Zusammenschneiden keine Ziele zu setzen. Nach diesen Maximen drehte er auch Die Katzen vom Gokogu-Schrein.

Schmieds Katze ist die Urururenkelin von Mina Murr, der Tochter des Katers Murr, dessen Lebens-Ansichten von E.T.A. Hoffmann aufgezeichnet wurden.

Dem Herausgeber vom »Schmieds Katze« ist diese Arbeitsweise vertraut, wenn auch nur in einem Kopfkino, das aus Worten besteht. Im Befragen dessen, was das Heimatliche ausmacht, geht es nicht nur in Japan um lokale Identität. Auch Neheim ist ein affektiv besetzter Ort mit ehemals prägenden Wörtern, Dialekten, Berufsbezeichnungen, ihren Erhebungen und Abgründen, ihrem lokalen Wissen, ihren geheimen Geschichten und Überlieferungen. Im Land der 1000 Berge existieren Tiefenzeiten und Rückzugsräume. Es gibt hier Orte, in denen die Bürger jenseits des medialen Zerstreutseins zu Hause sind, in denen natürlichem Gegebenheiten und geschichtlichem Gewordensein sie mit anderen aufgehen können. Hier gibt es Parallelen zwischen Neheim und Ushimado.

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Die Katzen vom Gogoku-Schrein, Dokumentarfilm von Kazuhiro Soda,  2024

Schmieds Katze, von Johannes Schmidt. Edition Das Labor 2025

Im Befragen dessen, was Heimat ausmacht, geht es um den Verlust lokaler Identität. 5760 Neheim ist ein affektiv besetzter Ort mit ehemals prägenden Wörtern, Dialekten, Berufsbezeichnungen, ihren Erhebungen und Abgründen, ihrem lokalen Wissen, ihren geheimen Geschichten und Überlieferungen. Die Vertellstückskers zeigen, wie ´Autosoziobiografisches Schreiben` im Hinterland betrieben wird. Im Land der 1000 Berge existieren Tiefenzeiten und Rückzugsräume. Es gibt im Sauerland noch Orte, in denen die Bürger jenseits des medialen Zerstreutseins zu Hause sind, in denen natürlichen Gegebenheiten und geschichtlichem Gewordensein sie mit anderen aufgehen können. Ähnlich wie bei Annie Ernaux steht auch für den Herausgeber Johannes Schmidt die Thematisierung von Klassismus in diesen Erzählungen im Vordergrund. Er verwandelt sich in einen Kehrichtsammler der Tatsachen, die Bagatellen des täglichen Provinzlebens werden in bizarre scheinenden und möglichst unterhaltsamen Geschichten festgehalten.

Weiterführend → Der Herausgeber würdigte den Fotographen Martin Vanselow, dessen Streetphotography er sehr schätzt. Er freut sich über die Zusammenarbeit für diese Online-Publikation weil Vanselow nicht nur faszinierende Bilder aus dem Alltag hervorholt, sondern weil diese Momentaufnahmen nebenher auch großartige Sozialstudien sind.

PS „No use to complain
If you’re caught out in the rain
Your mother’s quite insane
Cat food cat food cat food again“

King Crimson Siehe auch: Zwischen Konsonanz und Dissonanz.

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