Die leere Mitte

In der Konsumentendemokratie, mit den Abstimmungsergebnissen an den Kasse, erkennt die Katze die völlige Durchökonomisierung des Kulturverständnisses.

N.Y.C. hat den Central Park. Berlin den Tiergarten und Neheim einen neu formatierten Marktplatz.

Es gibt im Sauerland nichts Überragendes. Keine großen Ereignisse. Keine großen Menschen. Keine großen Ideen. Der Herausgeber kann den gedanklichen Leerlauf in Neheim lediglich en détail abbilden, indem er sich in den Wonnen der Gewöhnlichkeit stürzt – es so nimmt wie es ist – und versucht es mit größter Genauigkeit zu schildern. Das Eigentümliche des Denkens mündet eventuell in ästhetisch geglückte Formulierungen. Was Neheim so unglaublich liebenswert macht, ist sein absoluter Daseinsnihilismus. Hier ist Nichts. Und das Symbol dafür ist der neue Marktplatz.

Nach dem Umbau verblieb eine leere Mitte.

Diese leere Mitte fordert die Bürger dazu auf, sich durch meditative Versenkung die Grenzen des Ichs aufzulösen… das Bewusstsein konzentriert sich auf ein rein geistiges Niveau, durch Kontemplation geschieht hier eine Konzentration auf das Eigentliche, bei dem ALLES andere ausblendet wird. In diesem Zustand kann man eine tiefere Verbindung zu sich selbst und zu etwas Größerem erfahren, um in dieser Form Erleuchtung zu erfahren. Diese besenrein geputzte Platte ist gleichsam die Realisierung der sauerländischen Variante des ZEN- Buddhismus. Hier ist NICHTS. was einen vom Wesentlichen ablenkt: eigenständig Denken!

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Schmieds Katze, von Johannes Schmidt. Edition Das Labor 2025

Im Befragen dessen, was Heimat ausmacht, geht es um den Verlust lokaler Identität. 5760 Neheim ist ein affektiv besetzter Ort mit ehemals prägenden Wörtern, Dialekten, Berufsbezeichnungen, ihren Erhebungen und Abgründen, ihrem lokalen Wissen, ihren geheimen Geschichten und Überlieferungen. Die Vertellstückskers zeigen, wie ´Autosoziobiografisches Schreiben` im Hinterland betrieben wird. Im Land der 1000 Berge existieren Tiefenzeiten und Rückzugsräume. Es gibt im Sauerland noch Orte, in denen die Bürger jenseits des medialen Zerstreutseins zu Hause sind, in denen natürlichen Gegebenheiten und geschichtlichem Gewordensein sie mit anderen aufgehen können. Ähnlich wie bei Annie Ernaux steht auch für den Herausgeber Johannes Schmidt die Thematisierung von Klassismus in diesen Erzählungen im Vordergrund. Er verwandelt sich in einen Kehrichtsammler der Tatsachen, die Bagatellen des täglichen Provinzlebens werden in bizarre scheinenden und möglichst unterhaltsamen Geschichten festgehalten.

Weiterführend → Der Herausgeber würdigte den Fotographen Martin Vanselow, dessen Streetphotography er sehr schätzt. Er freut sich über die Zusammenarbeit für diese Online-Publikation weil Vanselow nicht nur faszinierende Bilder aus dem Alltag hervorholt, sondern weil diese Momentaufnahmen nebenher auch großartige Sozialstudien sind.