Ankünftigung

Kurze Geschichte eines Kleinstverlags aus dem Sauerland

Im Rahmen der De-Industrialisierung wurden ehemalige Fabrikgebäude zu Orten der Kunst. Dem Himmel so nah, unter dem Dach residiert die Werkstattgalerie Der Bogen.

Jede Geschichte hat eine Vorgeschichte. Der Begriff ´Labor` geht auf das bis ins 15. Jahrhundert gebräuchliche ‚laborare‘, an etwas arbeiten, sich mit etwas abmühen, aber auch an etwas leiden zurück. Das Verb ist von ‚labor‘ Mühe, Anstrengung, Arbeit abgeleitet, welches jedoch eigentlich das Wanken unter einer Last beschreibt. Es ist mit diesem auf ‚labāre‘ wanken, schwanken zurückzuführen. Mit dem Aufkommen der wissenschaftlichen Revolution wird ´laborieren` mehr und mehr fachsprachlich verwendet; in der Medizin bedeutet es ‘an einer Krankheit leiden bzw. daran arbeiten, um sie zu überwinden’; in der Alchimie zunächst ‘als Alchimist arbeiten’. Im 16. Jahrhundert bezeichnet Laboratorium dann die ersten Arbeitsstätten von Alchemisten, Apothekern und Metallurgen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts verkürzt sich der Begriff auf das weitgehend gleichbedeutende Labor. Er wird seit 1989 in Neheim auch für den künstlerischen Bereich genutzt.

 „Wir brauchen Wände“, proklamierten Künstlerinnen und Künstler. 1981 wurde die Werkstattgalerie DER BOGEN, Lange Wende 42, in 5760 Neheim eröffnet.

Informationen sammeln, konzentrieren und das Kondensat als gebündeltes Wissen wieder an das Publikum weitergeben – das ist der Mechanismus, der die Konzentration des künstlerischen Netzwerks vorantreibt. Als Werkzeug dient die Edition, eine Frischluftzufuhr für den Kulturbetrieb, eine Transparenzinitiative, die Meinung unzensiert liefert. Kultur ist mehr als Unterhaltung, genauer: die Anstrengung des Begriffs und Arbeit am Gegenstand.

Künstlerbücher verstehen diese Artisten als Physiognomik, der Büchersammler wird somit zum Physiognomiker der Dingwelt.

Im Rahmen der De-Industrialisierung wurden ehemalige Fabrikgebäude zu Orten der Kunst. Diese ehemals toten Orte wurden zu Aufführungsorten für Musik, Theater, Literatur und Film, Bildende Kunst, Tanz und Performance verwandelt. Im Zentrum stehen spartenübergreifende neue Produktionen, Uraufführungen und Neuinszenierungen, die die Besonderheiten der jeweiligen Spielstätten aufgreifen. Wie kaum eine andere Galerie in Deutschland hat ‚Der Bogen‘ in Arnsberg immer Wert auf die handwerkliche Erarbeitung von Künstlerbüchern gelegt. Unbeirrt setzen diese Artisten den kulturbetrieblichen Trends die unleugbare, virtuell nicht reproduzierbare Schönheit bibliophiler Buchausgaben entgegen, verbunden mit einem entschleunigten Prozess der Entstehung des Buches und einer exklusiv begrenzten, jedoch auf Nachhaltigkeit angelegten Verbreitung. Das benjaminsche Diktum der Aura eines Kunstwerks reicht von den Materialbüchern des Jürgen Diehl, über die Schland-Box von Peter Meilchen, bis hin zu Haimo Hieronymus‘ Erkundungen über die Möglichkeiten der Linie zwischen Schrift und Zeichnung findet sich eine Vielfalt des Ausdrucks, die ihresgleichen sucht.

Mit seiner Street Fotografie steht Martin Vanselow in der Tradition von Helen Levitt, Lisette Model, Diane Arbus, André Kertész, Walker Evans und Vivian Maier

Es erfordert etwas Mut, Menschen in ihrer alltäglichen Umgebung zu fotografieren. Es kann nicht schaden, Zeit und Geduld mitzubringen, um sich den geeigneten Augenblick hart erarbeiten. Über beides verfügt der in Neheim geborene Martin Vanselow. Seine Straßenphotographie ist das Erzählen von Geschichten, die im öffentlichen Raum entstehen, auf Straßen, in Geschäften oder wenn er Passantengruppen oder Einzelne herausgreift, oftmals als Momentaufnahme, aber ebenso eine essayhafte Abfolge und Milieustudie. Die Porträts von Vanselow sind Kunstwerke der Zuwendung. Das Fotografieren einzelner, flüchtiger Augenblicke, die spiegeln den Charakter der Umgebung, der Kultur, einer der Stadt wider. Das Festhalten einer besonderen Stimmung und Atmosphäre. Lesen Sie diese Online-Publikation als einen Katalog und Sie können wöchentlich eine neue Seite aufschlagen.

„Alle Wörter scheinen mir gespaltene und sich spaltende Strahlen eines wunderbaren Ursprungs, daher die Etymologie nichts tun kann, als einzelne Leitungen, Richtungen und Ketten aufzufinden und nachzuweisen, soviel sie vermag. Fertig wird das Wort nicht damit.“

Jacob Grimm an Savigny. 20. Apr. 1815

Wilhelm and Jacob Grimm, 1847; daguerreotype by Hermann Blow

Das Buch „Schmieds Katze“ trägt die modernen Mythen und Legenden von Neheim zusammen. Der Herausgeber orientiert sich mit den Vertellstückskers an der Sammlung der Gebrüder Grimm, die in ihren „Hausmärchen“ die Wunderwelt des mündlich Überlieferten ihres Zeitalters zusammengetragen haben. Diese Methode ist jedoch größer als ihr Erfinder oder der Anwender – es ist ein Paradigma. Am Endpunkt der großen sinn­stiftenden Erzählungen findet sich in diesem Abgesang eine Feier der Intertextualität. Erzählerin dieser Vertellstückskers bin ich, eine wie ein Mensch denkende und gebildete Katze, deren Reflexionen das Leben in der ´Terra incognita` aufhellt. Pleased to meet you. Hope you guess my name: Félin Murr. In einer Krähwinkeliade lote ich den Gegensatz zwischen künstlerischer Subjektivität und objektiver Realität aus, alle überlieferten Lebensfäden werden vom Schmied zu Erzählfäden verknüpft, diese Abfolge enthält Histörchen, fragmentarische Miniaturen, Twitteratur und Einzelszenen, die exem­plarisch für größere Zusammenhänge stehen. Ich schleiche mich dem Wesen der Zeit und der Erinnerung an. Die Sprache ist mein Werkzeug, täglich schärfe ich meine Krallen und frage was es bedeutet zu sein. Meine Augen richten einen kaltgenauen Blick auf einen reflexiven Erinnerungsraum: 5760 Neheim. Ich diktiere dem Schmied die Skizzen dafür, wie ich mich in der neuen Zeitlinie einfinde und versuche mit den Vertellstückskers die Wirklichkeit zu bändigen.

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Schmieds Katze wird am Welttag des Buches, am 23. April 2025, in der Stadtbibliothek Neheim vorgestellt. Wir hören eine Lesung aus den Buch – vorgetragen vom Schauspieler Kai Mönnich. Die Veranstaltung trägt den Titel „Heimat und die Zugehörigkeit zur Gesellschaft“. An der Podiumsdiskussion wirken mit:

Jutta Ludwig, Leiterin der Stadtbibliothek

Johannes Sander, Literarische Gesellschaft Arnsberg

Johannes Schmidt, Herausgeber von „Schmieds Katze“

Weiterführend → Eine Chronik des Projekts Das Labor lesen sie hier. Diese Ausgrabungsstätte für die Zukunft ist seit 2009 ein Label, die Edition Das Labor. Die Edition befand sich in der Situation des Baron von Münchhausen und musste sich mit samt Pferd am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Eine Übersicht über die in diesem Labor realisierten Künstlerbücher, Bücher und Hörbücher finden Sie hier. Vertiefend zum Thema Künstlerbücher lesen finden Sie hier einen Essay sowie einen Artikel von J.C. Albers. Weiterführend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.