„Awch behelt daz gemell dy gestalt der menschen nach irem steben.“
Albrecht Dürer

Die lateinische Inschrift auf Albrecht Dürers „Selbstbildnis im Pelzrock“ lautet übersetzt: „So schuf ich, Albrecht Dürer aus Nürnberg, mich selbst mit naturgetreuen Farben im Alter von 28 Jahren.“
Albrecht Dürer schuf somit das erste Selfie.
Dürers Selbstbildnis ist in mehrfach schwingender Hinsicht anmaßend; nicht wegen des Pelzmantels oder der Nähe zu Christusbildnissen. Der Maler hat mit diesem Bild seines Selbst das Selbstverständnis des modernen Künstlers vorweggenommen. Vor 500 Jahren bedurfte es für Artisten, die zumeist von Auftragsarbeiten für den Klerus leben musste, erheblichen Mutes, ICH zu sagen. Die hatte Folgen. Der Geniegedanke prägte den Sturm und Drang: „Geniezeit“, „Genieperiode“ oder auch „Geniekult“ sind deshalb andere Bezeichnungen. Die Auffassung war, dass jeder Mensch das Potenzial hat, ein Genie zu sein, wenn er seinen Gefühlen und seinem eigenen Willen folgt. „Werch ein Iltum“, würde Ernst Jandl sagen. Die obige – digitalisierte Kopie – thematisiert Walter Benjamins Essay nach den Verlust der Aura im Zeitalter der Selbstphotographie, wir erleben das Gegenteil: den Verlust der Individualität.
I = A. Der Esel nennt sich immer zuerst.
Keine Literaturgattung hat die Angewohnheit, so schamlos ICH zu sagen wie die Lyrik. Gelegentlich kommt mal jemand um die Ecke, der behauptet, sein Ich sei ein anderer, dies war konsequenterweise ein Abgesang auf seine Existenz als Dichter. Eine Konsequenz, die der Herausgeber bei den meisten Schreibern vermisst. Das Eingestehen der eigenen Unmassgeblichkeit zählte im 18. Jahrhundert zu den wesentlichen Konstituenten des moralischen Subjekts. Nun leben wir in den Zeiten der ICH-Fotografie und der Selbst-Verwirklichung, die sich in Form von Kunst-Fakes äussert. Gravitationspunkt für solche Darstellungen ist im Sauerland eine trotzige Bodenständigkeit, die dank der schlichten Wahrhaftigkeit des Augenscheins tiefer blicken lässt, als es den Machern lieb sein kann.
Der Allerweltsname Schmidt sagt es bereits, der Herausgeber möchte, dass sich niemand an ihn erinnert.
Der Editor sieht seine Aufgabe darin – auch wenn es etwas altmodisch tönt – der Kunst zu dienen. Als Kurator dieser Online-Publikation versucht er flüchtige Momente einzustellen und rückt sie in den Vordergrund der Betrachtung. Der Streetphotographer Martin Vanselow zeigt mit flüchtigen Bildern, wie vergänglich die Zeit ist. Der Kurator versucht die Prismen der Kleinstadt in einer Deutschen Mittelgebirgslandschaft so zusammenzufügen, dass sich daraus – im Lauf der Zeit – ein Bild ergibt, auf dem 5760 Neheim zur Kenntlichkeit entstellt wird.
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Weiterführend → Der Kurator würdigte den Fotographen Martin Vanselow, dessen Streetphotography er sehr schätzt, schon vor vielen Jahren auf KUNO. Er freut sich über die Zusammenarbeit für diese Online-Publikation weil Vanselow nicht nur faszinierende Bilder aus dem Alltag hervorholt, sondern weil diese Momentaufnahmen nebenher auch großartige Sozialstudien sind.