Nach dem Beschluss der Lokalpolitiker sollte jeder Stadtteil ein eigenes Gepräge erhalten. Für die Innenstadt von Neheim war der Claim „Einkaufsstadt“ vorbehalten.

Nach der Neugestaltung der Marktplatte sollten auf der Mendenerstraße attraktive Geschäfte entstehen. Von der politischen Zuordnung als „Einkaufsstadt“ bis hin zur Realisierung als reale Einkaufsmeile, hat sich der Einkaufswagen von einem Drahtgestell auf Rädern zum Icon auf einer Homepage entwickelt. Die Einkaufsmöglichkeiten im WWW und der Liefersevice per Paket ersparen dem Konsumenten sogar die Fahrt in die Bierstadt.
„Das ganze Leben der Gesellschaften, in welchen die modernen Produktionsbedingungen herrschen, erscheint als eine ungeheure Ansammlung von Spektakeln. Alles, was unmittelbar erlebt wurde, ist in eine Vorstellung entwichen.“
Guy Debord
Verkehrsberuhigt in Form einer verlängerten Fußgängerzone sollte die Mendenerstraße zu einer Vorzeigeadresse werden, inzwischen wurde die althergebrachte Architektur in Form von Fachwerkhäusern und des Klassizismus weitestgehend abgerissen und durch Investitionsarchitektur ersetzt. Die Realität wird unsichtbar hinter einer Scheinwelt aus Werbung, Klischees, Propaganda, die aber wiederum ganz reale Auswirkungen auf das Leben der Menschen hat. Real Erlebtes oder Ersehntes wird zunehmend durch seine Repräsentation, durch sein Surrogat ersetzt. In diesem Teil des Innenstadt erinnert Neheim zeitweise an eine verlassene Westernstadt nach dem Goldrausch.
„Die Gesellschaft des Spektakels ist eine Gesellschaft, die das Oberflächliche feiert, im Konsum Erfüllung finden möchte, sich in den Medien selbst betrachtet und bewundert und alles für messbar und käuflich hält, in der die Ware sich selbst in einer von ihr geschaffenen Welt anschaut.
Guy Debord
Als „Ruin porn“ wird die Fotografiebewegung von verlassenen Ortschaften bezeichnet. Die Faszination dieser Orte, liegt für Guy Debord darin, dass sie „nicht als Spektakel entworfen wurden“. Debord war ein einflussreiches Gründungsmitglied der Situationistische Internationale, ein radikaler Kritiker des Kapitalismus und der kapitalistischen Ideologie des Konsumismus, den er als Inszenierung „falscher Bedürfnisse“ anprangert. In seinem Hauptwerk »Die Gesellschaft des Spektakels« entwickelte er eine Theorie des Spektakels: „Das Spektakel ist das Kapital in einem solchen Grad der Akkumulation, dass es zum Bild wird.“
„Ihre vulgarisierten Pseudofeste, Parodien des Dialogs und der Gabe, regen zwar zu einer wirtschaftlichen Mehrausgabe an, bringen aber nur die stets durch das Versprechen einer neuen Enttäuschung kompensierte Enttäuschung wieder.“
Guy Debord
Der Abriss der Neheimer Innenstadt regt zu einer Studien in Psychogeografie an. Der Kurator betrachtet das allmähliche Verschwinden einer preisgegebenen Lebenswelt. Die Innenstadt von Neheim wurde erst in den 1980-er Jahren gesprengt und mit ihr die Vorstellung, die Welt liesse sich regulieren. Es gibt keine Hoffnung auf Veränderung. Die Mendenerstraße taugt nicht dazu sich eine total verfehlte Stadtplanung schönzutrauern
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Weiterführend → Der Kurator würdigte den Fotographen Martin Vanselow, dessen Streetphotography er sehr schätzt, auf KUNO. Er freut sich daher über die Zusammenarbeit für diese Online-Publikation weil Vanselow nicht nur faszinierende Bilder aus dem Alltag hervorholt, sondern weil diese Momentaufnahmen nebenher auch großartige Sozialstudien sind.